Bundestag plantet eine Untersuchungskommission zur Corona-Pandemie
Zwei Jahre nachdem die Corona-Pandemie die Ausnahmezustand in Deutschland ausgelöst hatte, kündigte der Bundestag an, eine Untersuchungskommission einzurichten. Die Kommission soll aus den Erkenntnissen der Vergangenheit Lehren ziehen.
Die Corona-Pandemie war ein “offenes Bauwerk”, wie Bärbel Bass, die ehemalige Präsidentin des Bundestags, vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt sagte. Die Sozialdemokratin ist nun Ministerin für Arbeit in der neuen Regierung unter dem Christdemokraten Friedrich Merz.
Auf Seite 112 des Koalitionsvertrags zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten steht ein Passus, der Bärbel Bass gefallen könnte: “Wir werden die Corona-Pandemie umfassend im Rahmen einer Untersuchungskommission untersuchen, insbesondere um Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse zu ziehen.”
Zweck der Untersuchungskommission
Während der vorherigen Regierung unter SPD, Grünen und FDP konnte keine Einigung über die Einrichtung einer Untersuchungskommission erzielt werden. Die Linke in der Opposition hatte im Oktober 2024 einen Antrag auf Einrichtung einer Untersuchungskommission gestellt, in dem zwei Ziele formuliert wurden:
“Zunächst soll durch eine ernsthafte Untersuchung der verlorene Glaube wiedererlangt werden. Zweitens sollen Informationen und Empfehlungen für Maßnahmen bereitgestellt werden, die uns helfen, eine proaktive, intelligente und effektive Reaktion auf diese Pandemie zu entwickeln, aber auch in einem solchen Fall, wenn eine solche Pandemie wiederholt auftritt.”
Ein Virologe im Bundestag
Diese zweite aktuelle Bemühung, eine Untersuchungskommission einzurichten, soll das Versäumnis ausgleichen. Es ist noch nicht klar, wann die Kommission beginnen wird, aber Experten sind bereits vorbereitet. Dazu gehört Hendrik Streck, einer der führenden Virologen Deutschlands, der während der Pandemie bekannt wurde. Bei den Bundestagswahlen im Februar dieses Jahres gewann er einen Direktmandat in Bon auf der Liste der CDU.
Streck ist 47 Jahre alt, Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestags und wurde von der Bundesregierung auch zum Beauftragten für Abhängigkeits- und Drogenfragen ernannt. Er sieht die Corona-Pandemie und ihre Folgen aus verschiedenen Perspektiven: wissenschaftlich, medizinisch und politisch.
Er glaubt, dass eine Untersuchung der Pandemie “absolut notwendig” ist. Es war “die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg”, sagte Streck in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Er hofft, als Mitglied des Bundestags in der Lage zu sein, Antworten auf Fragen zu finden, die, wie er meint, nicht ausreichend untersucht wurden. Zum Beispiel, wie die wissenschaftlichen Beratungsgremien der Regierung in einer solchen Krise wie der Corona-Pandemie funktionieren.
“Es ist ein Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit”, schätzt der Virologe auf der Grundlage seiner Erfahrungen.
“Die Pandemie habe ich in der Notaufnahme erlebt”
Die linke Abgeordnete Stella Merendino, die auch Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestags ist, stimmt zu, dass ohne eine Untersuchungskommission keine Lehren für die Zukunft gezogen werden können. Die Politikerin ist Krankenschwester und sagte der DW: “Ich habe die Pandemie in der Notaufnahme erlebt. Ich habe gesehen, wie Menschen starben, aber wir ließen sie nicht zu ihren Liebsten sagen.”
Merendino kritisiert, dass viele Menschen während der Pandemie allein gelassen wurden: mit ihren wirtschaftlichen Sorgen, der Sorge um ihre Kinder, der Einsamkeit oder der Überarbeitung. “Das hat den Zorn und den Misstrauen hervorgerufen, der auch heute noch besteht”, sagt sie. Doch sie glaubt, dass diese offenen Wunden geheilt werden können: “Wir müssen nicht allen glauben, aber wir müssen diejenigen hören, die offen sind für diese Erfahrung. Und als Politiker müssen wir den Mut haben, unsere Fehler zu akzeptieren.”
Zu allem Überfluss erwartet Merendino mehr Unterstützung von Staat und Gesellschaft für die Menschen, die noch unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden. “Ich kenne Krankenschwestern, die nicht mehr arbeiten können, weil sie an Covid-19 gelitten haben. Viele von ihnen kämpfen um Anerkennung, um finanzielle Sicherheit. Und das in einem Gesundheitssystem, das bereits überlastet ist.”
Zurückhaltung in der Gesellschaft
Der Virologe Hendrik Streck glaubt auch, dass ein tieferer Einblick in die emotionalen Folgen der Pandemie fehlt. Der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier hat zumindest versucht, dies zu tun. Während und nach der Pandemie traf er sich mit den Betroffenen aus allen Bereichen des Lebens, um mit ihnen zu sprechen.
Streck denkt, dass mehr getan werden muss, zum Beispiel durch die Bildung eines Bürgergremiums unter der Leitung von Präsident Steinmeier. “Das wäre nützlich”, sagt er.
Beispiele aus anderen Ländern könnten auch im Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Corona-Pandemie helfen, meint Streck. “Als Wissenschaftler ist es mir wichtig, verschiedene Ergebnisse zu sehen”. Zum Beispiel hat er die Berichte aus England sorgfältig gelesen. “Vielleicht unterschieden sich die Wege, auf denen bestimmte Maßnahmen umgesetzt wurden, von Land zu Land”, sagt er mit Vorsicht.
“Wir brauchen mehr Daten und mehr Analysen, um eine genaue Sicht zu bekommen”, schließt Hendrik Streck. Er ist überzeugt, dass dies auch dazu beitragen würde, die Spannungen in der Gesellschaft zu verringern. DW