Die estnische Regierung hat die NATO, deren Mitglied sie ist, gebeten, Artikel 4 des Nordatlantikvertrags zu aktivieren, nachdem drei russische Kampfflugze am Wochenende die estnische Lufträume verletzt hatten.
Der estnische Ministerpräsident Kristian Michal schrieb in einem Beitrag, dass “drei russische Kampfflugze der Typ Mig-31 am Morgen die estnischen Lufträume verletzt haben”.
“Die NATO-Kampfflugze reagierten und die russischen Flugzeuge wurden gezwungen, sich zurückzuziehen. Ein solcher Verstoß ist völlig unzulässig. Die estnische Regierung hat beschlossen, nach Artikel 4 der NATO zu konsultieren”, schrieb Michal.
Was bedeutet es, Artikel 4 zu aktivieren?
Laut dem Washingtoner Vertrag (1949) gibt Artikel 4 jedem Mitgliedsstaat das Recht, bei Bedrohung seiner territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit Konsultationen mit den Verbündeten zu beantragen.
Dies bedeutet nicht automatisch eine militärische Beteiligung, sondern vielmehr, dass die Angelegenheit dem Nordatlantikrat vorgelegt wird, der entscheiden kann, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, sei es diplomatische, militärische oder präventive.
Artikel 4 wird oft als “Warnschuss” gesehen, der vor möglichen Entwicklungen warnt. Im Gegensatz zu Artikel 5, der eine kollektive Verteidigung in Fällen eines Angriffs auf ein Mitgliedsstaat vorsieht, bleibt Artikel 4 auf der Ebene der politischen Konsultation, aber mit einem besonderen Gewicht, da er den Debatten in der gesamten Allianz den Weg bereitet.
Seit der Gründung der NATO wurde Artikel 4 nur acht Mal aktiviert, was die außergewöhnliche Natur der Verfahrensweise zeigt:
2003 – Türkei: Nach dem Irak-Krieg war Ankara besorgt über die Auswirkungen auf ihre Grenzsicherheit. Die Verbündeten entschieden sich dann, Maßnahmen zur Stärkung der Luftverteidigung der Türkei zu ergreifen.
2012 – Türkei: Der Absturz eines türkischen Kampfflugzeugs durch syrische Kräfte führte zu Konsultationen.
2014 – Polen, Estland, Lettland, Litauen: Nach der Annexion der Krim durch Russland riefen vier Länder in Osteuropa gleichzeitig Artikel 4.
2015 – Türkei: Sie beantragte erneut Konsultationen, erwähnte die Instabilität in Syrien, den Terrorismus und die Bedrohungen für ihre Sicherheit.
2020 – Türkei: Mit Blick auf die Eskalation in Idlib in Syrien aktivierte Ankara Artikel 4, einige Stunden nachdem Dutzende türkische Soldaten im Rahmen eines Luftangriffs getötet wurden.
2022 – Polen: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beantragte Warschau Konsultationen, betonte dabei, dass die Sicherheit aller Mitgliedsstaaten in Osteuropa bedroht sei.
2022 – Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien: Einige Tage später aktivierten weitere Länder in Osteuropa Artikel 4 aufgrund der sich rapide verschlechternden Situation in der Ukraine.
2025 – Polen: Nachdem russische Drohnen die polnischen Lufträume verletzt hatten.